Hygienehypothese
Die Hygienehypothese ist eine, von dem Londoner Epidemiologen David Strachan, vor etwa zehn Jahren aufgestellte Theorie. Dazu wertete er systematisch die allergischen Erkrankungen des Jahrgangs 1958 aus. Dabei stellte er fest, dass es im Zuge der immer besser werdenden hygienischen Verhältnisse zu einem signifikanten Anstieg von allergischen Erkrankungen gekommen war. Daraus leitete er ab, dass beide beobachteten Sachverhalte in Korrelation zu einander stehen. So weit die trockene Theorie zur übertriebenen Hygiene.
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Zu viel Hygiene Schuld an Allergien?
Noch vor knapp 50 Jahren unterschieden sich Lebensumstände der Menschen von damals eklatant von den heutigen. Besonders auf dem Land gab es keine Toiletten mit Wasserspülungen, sondern nur ein Plumpsklo. Abwässer liefen vielfach ungeklärt in Bäche oder auf die Straße. In der Nacht wurde noch der Nachttopf benutzt. Nur in den wenigsten Haushalten gab es einen Kühlschrank. Auch Lebensmittelkontrollen wie heute, gab es damals noch nicht einmal im Ansatz.
Wenn man das Rad der Geschichte noch einmal um 100 Jahre zurückdreht, herrschten damals hygienische Verhältnisse, in denen die Menschen von heute wahrscheinlich nicht existieren könnten, ohne schwer krank zu werden. In dieser Zeit war es zum Beispiel noch völlig normal, dass die Leute mit ihren Tieren unter einem Dach lebten. Dies kann man heute noch an der Bauweise älterer Bauernhäuser erkennen.
Die Menschen steckten sich untereinander mit verschiedenste Krankheiten an oder infizierten sich über Lebensmittel oder ähnlich gelagerte Sachverhalte mit den unterschiedlichsten Erregern, Keimen und Bakterien. Auch war ein Befall mit den unterschiedlichsten Parasiten an der Tagesordnung. Läuse, Flöhe, Band- und Spulwürmer waren ganz normale Begleiter des täglichen Lebens.
Das moderne Immunsystem ist schwach
Die Folge war, dass das Immunsystem oftmals bis an den Rand seiner Kapazitäten mit der Abwehr dieser krank machenden Auslöser beschäftigt war. Im Laufe der Geschichte lernten sowohl das Immunsystem als auch die Erreger permanent voneinander. Hatte das Immunsystem eine Antwort auf die Bekämpfung des Erregers gefunden, passte dieser sich an und das Immunsystem musste eine neue Strategie entwickeln. Auf diese Weise verfügte der Mensch der damaligen Zeit über ein sehr aktives und sehr starkes Immunsystem.
In der heutigen Zeit hat sich dies grundlegend geändert. Wir haben hygienische Verhältnisse, von denen unsere Ahnen nur träumen konnten. Die Kontrolle unserer Lebensmittel ist auf einem Niveau, welches eigentlich nicht mehr verbessert werden kann. Parasiten, wie Würmer, Läuse und Flöhe kommen nur noch sehr vereinzelt vor und damit auch die von diesen verursachten oder übertragenen Krankheiten.
Ebenso sieht es in den Haushalten aus. Unsere Fußböden sind so sauber, dass man buchstäblich von diesen essen könnte. Wasch- und Geschirrspülmittel sowie unsere Körperpflegeprodukte sind sehr oft antibakteriell.
Die Folge ist, dass das Immunsystem immer weniger zu tun hat und somit in einen Zustand der permanenten Unterforderung gerät. Weil unsere körpereigene Krankheitsabwehr sich jetzt in diesem Zustand befindet, sucht es sich andere Ziele, die bekämpft werden können. Dabei kann es sich gegen eigentlich harmlose Stoffe wie Pollen, Tierhaare oder im schlimmsten Fall, sogar gegen die eigenen Organe wenden.
Die Folgen dieses Prozesses sind diverse Allergien.
Die Hygienehypothese gilt vor allem für die westliche Welt
Studien haben auch aufgezeigt, dass Allergien hauptsächlich ein Problem der westlichen Welt sind. In Ländern auf dem afrikanischen Kontinent oder zum Beispiel in Indien, wo die hygienischen Verhältnisse oftmals katastrophal sind, was zum Beispiel das Trinkwasser und die Nahrungsmittel betrifft, sind Allergien nur in sehr geringem Umfang ein Thema.
Ebenso wurde nachgewiesen, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, wo sie täglich mit vielen Keimen, Bazillen und Stäuben in Kontakt kommen, ein signifikant geringeres Risiko haben, an einer Allergie zu erkranken. Dieser Effekt kann von der Mutter auch schon an ein Neugeborenes weiter gegeben werden. Voraussetzung ist, dass die Mutter sich während der Schwangerschaft mindestens 20 Minuten pro Tag im Stallmilieu aufgehalten hat.
Ein weiteres wichtiges Indiz für die Hygienehypothese ist die Situation in Gambia. Dort wurden großflächig die Kindern von Würmern im Darm befreit. Die Folge war ein starker Anstieg von allergischen Erkrankungen.
Kinder sollen auch mal im Dreck spielen
Wieder in die Zustände wie vor 50 oder 100 Jahren zurück zu fallen, wäre sicherlich nicht sehr ratsam. Doch kann man im Alltag einige Dinge ändern und so die Gefahr einer Allergie schon im Vorfeld minimieren. Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn ein Kind im Schmutz spielt. Natürlich sollte man es nicht in einen Sandkasten setzen, der von einigen Hundehaltern als WC für ihre Vierbeiner genutzt wird, wie dies zum Beispiel in Großstädten häufig der Fall ist. Es macht jedoch gar nichts, wenn ein Kind sich beim Spielen schmutzig macht. Im Gegenteil.
Ebenso sollten wir unsere Wohnungen nicht sterilisieren. Die Werbung der herstellenden Unternehmen, versucht uns dies zwar immer wieder auf mehr oder weniger geschickte Art und Weise weiß zu machen, doch wie Sie oben lesen konnten, stimmt dies so nicht. Die häufig verwandten Bilder von Vergrößerungen des Toilettenrandes, auf dem sich Scharen von Bakterien und Keimen tummeln, hat mit der Realität oft wenig zu tun. Und auch, wenn es dort Bakterien gibt, so können uns diese nur in den wenigsten Fällen gefährlich werden.
Nicht zu viel desinfizieren!
Ebenso sollte man davon Abstand nehmen, antibakterielle Körperpflegeprodukte zu benutzen. Im besonderen Seifen für die Hände. Dies mag für einen Arzt im OP sicher sinnvoll sein, doch im normalen Alltag ist dies, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
Auch kann übertriebene Körperpflege sich schädigend auswirken. Zwei Mal am Tag zu duschen ist nicht gut. Auf diese Weise wird der wichtige Säureschutzmantel der Haut arg in Mitleidenschaft gezogen. Besonders die in diesem enthaltenen und sehr wichtigen Bakterien werden so permanent in ihrer Entwicklung gestört.
In der Medizin gibt es mittlerweile auch eine Therapie, bei der die Patienten gezielt mit Eiern des Schweinepeitschenwurms infiziert werden (Wurmtherapie). Diese schlüpfen im menschlichen Körper und sterben nach zwei Tagen wieder ab, da ihnen die Voraussetzungen fehlen, länger in uns zu überleben. Während dieser Zeit und während des Absterbeprozesses setzen diese jedoch Stoffe frei, mit deren Bekämpfung das Immunsystem sehr stark beschäftigt ist. Dies kann dazu führen, dass sich die Immunabwehr nun von harmlosen Allergenen abwendet. Mit der Folge, dass Allergien geheilt oder auf ein erträgliches Maß zurückgedrängt werden können.
Sicher ist es ein großer Unterschied, an einem Bandwurm oder an einem Heuschnupfen zu leiden. Ein Rückfall in diese alten Zeiten ist auch nicht gewünscht. Dennoch können die Wissenschaftler auf diese Weise wirkungsvolle Behandlungsstrategien gegen Allergien entwickeln, anstatt sich wie bisher, überwiegend auf das Bekämpfen der Symptome zu konzentrieren.